Der demographische Wandel stellt für die Pflege eine enorme Herausforderung dar. Ein Mangel an Fachkräften steht dem Wachstum einer alternden Bevölkerung, die zunehmend multimorbide und auf pflegerische Unterstützung angewiesen ist, gegenüber. Tatsachen die inzwischen allgemein bekannt sind. Unbekannt hingegen ist, dass der Anteil der Bevölkerung, der über 65-Jährigen mit Migrationshintergrund, derjenige ist, der am schnellsten wächst. Die „Gastarbeiter“ von damals sind heute Senioren. Sicher hatten viele von ihnen die Vorstellung im Alter wieder in die Heimat zurückzukehren oder glaubten zumindest sie würden in Deutschland traditionell von der eigenen Familie gepflegt werden.
 
 Die Realität sieht allerdings anders aus. Kinder und Enkel leben in Deutschland, weshalb eine Rückkehr in die Heimat schwer fällt. Und das Potenzial, Angehörige in der Familie pflegen zu können, sinkt auf Grund von Berufstätigkeit und Zeitmangel in ausländischen Familien ebenso wie in deutschen. Die jüngere Migrantengeneration wird zukünftig sicher auch häufiger auf die Hilfe professioneller Leistungserbringer zurückgreifen müssen, um die Versorgung ihrer Eltern sicherzustellen.
 
Pflegeorganisationen werden sich demnach auf mehr multikulturelles Klientel einstellen müssen. 
 
Einige tuen dies. Laut einer Marktanalyse der pflegedatenbank.com sind von den deutschlandweit über 13.000 ambulanten Pflegediensten, bereits 185 als türkisch oder interkulturell einzustufen. Mit 22 Standorten türkischer ambulanter Pflegedienste liegt Hamburg im Ranking ganz vorn. In der Hansestadt wurde auch die deutschlandweit erste Wohngruppe für dementiell erkrankte Senioren türkischer Herkunft erbaut. In dieser Wohngemeinschaft wird ein Leben ermöglicht, ähnlich wie die Bewohner es von Zuhause kennen: Verständigung in der Muttersprache, landestypisches Essen, vertraute Alltagsgestaltung, Berücksichtigung von Traditionen und Gebräuchen sowie traditionelle Achtung und Respekt älterer Menschen. Sogar ein Hamam (türkisches Dampfbad) wurde in das Gebäude integriert, um den Bewohnern trotz Pflegbedürftigkeit zu ermöglichen, einer ganz typisch türkischen Tradition nachzugehen.
 
In Köln ist ein ganz ähnliches Wohnprojekt für russisch stämmige und an Demenz erkrankte Mitbürger entstanden. Hier werden die Pflegeleistungen von russisch sprechenden Pflegekräften erbracht und der Tagesablauf nach russischen Gepflogenheiten aufgebaut und gelebt. 
 
„Wer in Deutschland lebt, sollte auch deutsch sprechen“, wird der ein oder andere evtl. denken. Doch gerade Menschen, die an einer Demenz leiden, vergessen im Verlauf der Krankheit vieles, darunter auch die erlernte deutsche Sprache.  An Dinge und Erlerntes  aus der fernen Vergangenheit wie die Muttersprache können sie sich hingegen noch erinnern. Sitten und Bräuche aus ihrer Kindheit, aus ihrem Heimatland sind ihnen noch bekannt und geben Sicherheit. Um diese Menschen zu erreichen und adäquat pflegen zu können, ist es gut diese Sitten und Bräuche zu berücksichtigen. 
 
„Kultursensible Pflege“ ist ein Begriff mit dem diese Thematik häufig betitelt wird. Auf dem Fortbildungsmarkt gibt es inzwischen diverse Schulungen, die Pflegkräfte hierin unterrichten. 
 
Doch muss man dem Kind wirklich einen neuen Namen geben? Braucht es eine Schulung um von einer Klientin mit z.B. türkischem Migrationshintergrund zu erfahren, dass man sich beim Betreten ihrer Wohnung die Schuhe auszieht; dass Schweinefleisch auf dem Speiseplan verboten ist oder dass ihr statt einem Waschlappen das fließende Wasser lieber zum Waschen ist? 
 
Richtig ausgeführt ist Pflege so oder so sensibel und braucht kein Kultur- davor. Die Frage nach Wünschen und Gewohnheiten, die bei der Pflege berücksichtigt werden sollen, gehört eigentlich zum Standard bei der Aufnahme eines jeden Klienten ganz gleich ob mit oder ohne Migrationshintergrund. 
 
 Schwieriger ist es allerdings Pflegepersonal vorzuhalten, welches der Muttersprache der jeweiligen Klienten mächtig ist. Nach der Studie „Wirkungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes“ (2011), waren 62% der befragten ambulanten Pflegedienste nicht in der Lage dazu. Allerdings gaben auch nur 12% von ihnen an, überhaupt Klienten mit Migrationshintergrund zu betreuen. 
 
Und tatsächlich ist es so, dass hilfe- und pflegebedürftige Menschen mit Migrationshintergrund deutlich seltener professionelle Pflegeleistungen in Anspruch nehmen, als diejenigen ohne Migrationshintergrund. 
 
Vermutlich liegt dies aber nicht zuletzt an Unwissenheit über die zur Verfügung stehenden Leistungen, die sie in Anspruch nehmen könnten und dem Mangel an Vertrauen in die deutsche Pflege. Genau wie deutsche Pflegebedürftige wollen auch pflegebedürftige mit Migrationshintergrund solange als möglich selbstständig bleiben und bei Bedarf Zuhause versorgt werden. Vorstellungen von Pflegeheimen basieren zumeist noch auf Erinnerungen an Heime in der Heimat zu Zeiten als sie diese verließen. Mit großer Sicherheit weichen diese Vorstellungen weit ab von dem, was deutsche Pflegeheime heute zu bieten haben. Leider sind Informationsbroschüren und Marketingmaßnahmen von Pflegeeinrichtungen selten an das Klientel mit Migrationshintergrund adressiert, geschweige denn mehrsprachig verfasst.